Glückliche Arbeitslose
8. Dezember 2011 Bei Arbeit 's Los eingeordnetZu ihrer Zeit, um das Jahr 2000, steckte ich in den Kinderschuhen meiner bisher elfjährigen Arbeitslosigkeit. Schade, dass ich erst vor einiger Zeit im Netz auf die Glücklichen Arbeitslosen gestoßen bin, die heute verstreut im Land leben, einst als Berliner Gruppierung die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machten, dass arbeitslos und glücklich sein vereinbar ist. Ein erfülltes Leben mit Erwerbsarbeit gleichsetzen dagegen Irrsinn. Zu Glück wie Zufriedenheit kann sie zwar beitragen, muss aber nicht.
Bei der Lektüre von ›Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche‹, den Gesinnungstexten der Glücklichen Arbeitslosen, fragte ich mich: Warum habe ich mir anfangs ein schlechtes Gewissen und Druck gemacht, nur weil ich arbeitslos bin? Gesellschaftlicher sowie politisch-behördlicher Druck, der auf mich ausgeübt wird, mein Wohlergehen nicht im Sinn hat, ist meinem Leben Schikane genug! Laut des Glücklichen Arbeitslosen Guillaume Paoli wäre die beste Antwort schmarotzend fauler oder ach so armer Arbeitsloser erhabenes Lachen. Er meint es nicht höhnisch, dreht den Spieß nur mal um, plädiert vielmehr dafür, sich mit Arbeitenden zu solidarisieren, die auch glücklich sein und schon gar nicht eine mögliche Arbeitslosigkeit als Bedrohung empfinden wollen.
Sosehr wir Geld brauchen, um materiell zu existieren, sowenig lässt sich Arbeitslosigkeit abschaffen. Zur Genüge erfahren wir, warum Arbeitsplätze verkürzt und abgebaut werden, aufgrund von Automatisierung, an mancher Stelle fehlenden Geldern, Outsourcing in Niedriglohnländer usw. Dumpinglöhne hierzulande, die in unserer Wohlstandsgesellschaft einer Arbeitsmoral bedürfen, stehen neben hohen, weniger moralisierten Unternehmensgewinnen. Bitte haben wir alle das Glück, nicht von Not getrieben zu werden, eine Chance uns selbst zu verwirklichen! Weswegen also nicht ebenso diejenigen offiziell entlohnen, die auf Mangelware ›Erwerbsarbeit‹ verzichten sowie Lohndumping nicht durch eigenen Einsatz unterstützen wollen! Aber nein; all denen, die wenig vermögend sind, winkt die Moralkeule, teilt ihnen unterschwellig mit, wie schnell man materiell in die Enge getrieben werden kann, in einem Land, dessen Reichtum seinesgleichen sucht.
Das Bündnis für Simulation, von dem in obigem Zeitungsausschnitt die Rede ist, aufzukündigen wäre angebracht. Es zu beenden bedeutet, die Unternehmer und die Bundesagentur für Arbeit von der unlösbaren Mamutaufgabe entlasten, uns zur Utopie ›Vollbeschäftigung‹ zu führen. Viele Arbeit wird eingespart, attraktive sowie unattraktive. Warum ihr nachtrauern? Sich gewollte, attraktive Arbeit schaffen oder suchen, die nicht zwangsläufig Geld bringen muss, ohne Bevormundung durch Politik bzw. Staat, anstatt fremdbestimmt bspw. in Maßnahmen gesteckt zu werden, solche, über die Illusionen einer einseitigen Gesellschaftsvorstellung finanziert werden.
Ich sehe nicht ein, wieso ich Langzeitarbeitsloser unglücklich sein sollte, erkenne mich in den Glücklichen Arbeitslosen soweit wieder. Als ich ihren Tauglichkeitstest machte, den man auf ihrer Website etwas suchen muss, da die Navigation unter keinem unnötigen Aufwand programmiert worden ist, stellte ich fest, ich arbeite lieber Freizeit, nicht Kurz- oder Langzeit. Ich habe den Test wahrscheinlich nicht bestanden, denn das Wort ›Arbeit‹ bereitet mir kein Problem, solange es nicht besonders betont wird und das, was es meint, freiwillig geschieht. Aber diesen Test wertet dir so oder so niemand aus. Eine gute Pause kann nach ihm schon mal ein Jahr dauern; die Schlange vor einem offerierten Job, für den man sich irrtümlich angestellt hat, mit einer Person zu lang sein u. Ä.
Den Stellenablehnungsgenerator 2.0 habe ich leider nicht gefunden. Er wäre ganz praktisch. Ablehnungen durch Arbeitgeber, zu denen Zwangsbewerbungen führen, unter maximaler Effizienz, höchst ökonomisch generieren, mir Arbeitslosem Zeit z. B. für Sinnvolleres verschaffend. Für Arbeitgeber existiert ja auch ein Absagengenerator, mit dessen Hilfe sie Absagen an Bewerber ideal formulieren können.
Erinnert sich jemand an die Hartz IV’sche Ich-AG? Die Glücklichen Arbeitslosen antworten mit der Ohne-mich-AG. In so einer wäre ich gut aufgehoben, da ich mich gerne selbständig betätige, aber keinesfalls damit bedrücken oder stressen will, um jeden Preis Geld einzunehmen.
›Busy Doing Nothing‹, ein Beitrag Mila Zoufalls in dem Buch, das rechts abgebildet ist, widmet sich dem Nichtstun, das viele höchstens als tätiges Nichtstun zulassen können. Ein unangenehmes Gefühl durch Untat, besser Nichttat, welches abgelegt sein will, trägt wiederum der Müßiggangster, die einstige Zeitung der Glücklichen Arbeitslosen, allein schon im Titel. Nichtstun, Faulsein steuern wahrlich zu Glück bei, wechselt mir und dir gerechtes Tun sich mit ihnen ab. Und weshalb Gelderwerb in Breitengraden, in denen viel Geld vorhanden ist, wichtig nehmen? Unzählige Menschen wollen/müssen ihre Waren loswerden und Dienstleistungen vollführen. Egal ob an Kunden, die Arbeit oder keine haben.
Die Glücklichen Arbeitslosen, viele ihrer Themen nach wie vor aktuell, haben nach jahrelanger Öffentlichkeit leider aufgehört. Sie erfreuten sich großer Bekanntheit, wie Artikel u. a. im Spiegel, in der taz, im Freitag zeigen. Besonders aufschlussreich ein Interview durch die Künstlergruppe finger.
Das Grundproblem ist, dass für die Mehrheit der Bevölkerung die Lohnarbeit immer noch als »Selbstverwirklichung« gilt. Dabei wird sie fremdbestimmt und entfremdet uns von uns selbst.
Trotzdem gibt es für die Masse keine Alternative. Sie haben Angst vor der Freiheit der Nicht-Fremdbestimmtheit. Was tun, wenn mich niemand zwingt morgens früh aufzustehen und zu schuften? Was mit der ganzen Zeit anfangen? Angst vor sich selbst, die Angst davor Entscheidungen zu treffen und sein Leben zu gestalten ist weit verbreitet.
Wer arbeitslos ist, darf nicht glücklich sein in unserer Gesellschaft. Wer erwerbslos ist, soll um Lohnarbeit betteln!
Ich vermute ein Grundproblem darin, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich als Maßstab für alle nimmt und die Politik diesen aufgreift und umsetzt. Doch wir haben heute keine so sicheren Lohnarbeiterverhältnisse mehr wie früher. Hoffentlich kommt das bei immer mehr Menschen an und sehen sie es nicht nur negativ, sondern auch die Chancen.
Selbstverwirklichung ist eine individuelle Angelegenheit. Für manchen mag sie im Wesentlichen gar in der Arbeit bzw. im Geldverdienen liegen. Wichtig finde ich, dass man etwas für sich und andere tut, außerdem nicht gezwungen wird Geld zu verdienen.
Manchmal ist es gut, etwas von außen zu haben, Fremdes, wenn man so will. Alles allein von sich aus machen läuft nicht. Manche brauchen vieles Vorgegebene, andere weniger.
Wie ist es möglich, sich von den Paradigmen der Erwerbsarbeit zu lösen, eigene Wege zu gehen, ein Leben zu führen, welches mir Freiräume bietet, in denen ich erfüllenden und sinnstiftenden Tätigkeiten nachgehen kann? Für mich bestand ein Schlüsselmoment dieser Arbeit darin, darlegen zu können, dass eine solche Lebensführung einen Kompromiss zwischen Zeitsouveränität und Wohlstand bedeutet.
Ich bin jetzt Mitte 40. Mit Mitte 30 habe ich meine Arbeit verloren (davor standen über 20 Jahre »astreiner lückenloser Lebenslauf). Seit dem Verlust des Arbeitsplatzes schlage ich mich durchs Leben mit Befristungen, Hartz 4, Befristungen. Es ist sehr ermüdend. Man kann nichts richtiges mehr aufbauen. Es kostet viel Kraft. Und ja, man klagt sich selber an, weil der »gute Bürger« geht seiner Arbeit nach. Ja, wie denn, wenn man nur noch Absagen bekommt. Das zehrt so sehr. Und auf Verständnis kann man höchstens bei Menschen hoffen, die dasselbe durchmachen.
Es macht mir auch jeden Tag mehr Angst. Wie geht es weiter. Werde ich mich in meinem Leben noch jemals wieder gut fühlen (dürfen). Ich werde nicht jünger. Doch der Arbeitsmarkt folgt einem Jugendwahn. Man kämpft mit dem Älterwerden, mit der Stigmatisierung, mit der Ausgrenzung (ja Einsamkeit), hält sich mit wenig über Wasser, fühlt sich schuldig, weil man seine Miete nicht selber bestreiten kann. Dazu kommen die vielen vielen Absagen. Die von aussen ja keiner sieht. Und keiner fragt danach. Es wird geurteilt. Es fällt mir so schwer, gute Laune zu haben und mich selber zu motivieren. Und ich bin jetzt erst Mitte 40. Wie soll das noch weitergehen?
Hartz 4 hat wirklich nichts Gutes über unser Land gebracht. Denn es kann einen schneller »erwischen« als man denkt. Arbeitslose gab es doch auch früher schon. Doch das wurde nicht so eklatant in den Fokus der Medien gestellt.
Bin ich ein Schwerverbrecher, weil meine Firma Insolvenz angemeldet hat? Vielleicht, weil ich es nicht verhindern konnte.
Ich würde mir nur wünschen, dass die Hetze gegen H4-Empfänger endlich aufhört. Wenn schon Anklage, dann bitte so, dass ich mich rechtfertigen kann. Aber diese Chance wird einem genommen. Ist ja auch einfacher.
Das ist wahre Vernichtung von Humanem Kapital. Schade, dass dies ein Peter Hartz nicht so sehen wolllte. Er hat einen wesentlichen Teil zur Vernichtung des eigenen Landes beigetragen.
Und wenn es noch so anrüchig scheint, ich bin ein glücklicher Arbeitsloser. Ich faulenze nicht, sondern hab mit Gartenarbeit und Hauswirtschaft einen 12-14 Stunden-Tag. Und damit schaffe ich unter sehr viel Kreativität ein erfülltes Leben. Ja, so könnte man es beschreiben.
Ich habe die Zeit, um gesunde Lebensmittel zu erwirtschaften, was ich nicht könnte, wenn ich arbeiten gehen würde. Dann müßte ich mich mit Supermarkt-Produkten zufrieden geben, die alles andere als natürlich sind. Das ist nun mal meine Meinung.
Arbeitgeber sehe ich inzwischen als Sklaventreiber an, sorry, falls es noch was anderes gibt, ich hab noch nichts anderes kennengelernt.
Dem Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer doch vollkommen egal, nie zufrieden, auch wenn der Arbeitnehmer 150 % bringt, es muß immer noch ein bisschen mehr sein. Und wenn er auch nur ansatzweise noch 3,50 € mehr rausholen kann, wenn er in Billiglohnländern produzieren läßt, dann ist ihm das Schicksal des Arbeitnehmers so egal, wie die letzte Wasserstandmeldung des Mars.
Ich kann nur allen raten, endlich mit ihren Selbstzweifeln aufzuhören. Ihr seid den Arbeitgebern völlig egal, auch wenn die so tun, als wäre das nicht wahr.
Lernt endlich, daß Euch die Arbeitgeber auch mal egal sein können. Und wenn dieses Bewußtsein Massenbewußtsein wird, dann müßten sich die Arbeitgeber viel mehr Mühe geben, Arbeitnehmer halten zu können. Das wäre das Ende des Dumpinglohn-u. Arbeitsdruckzeitalters. Und es wäre das Ende des sich ewig schuldig fühlens-Zeitalters. Zeit würde es!
LG Petra K.